Verwendung von Thiolverbindungen zur Inaktivierung von Viren
Die vorliegende Erfindung betrifft die Verwendung von Thiolverbindungen zur Inaktivierung von Viren in zellfreier Umgebung, insbesondere in Blut, Blutplasma, Blutserum, Blutkonserven, Blutprodukten. ZellkulturflUssigkeiten und Nährmedien sowie beim
Aufbringen auf die Oberfläche von Pflanzen oder Tieren. Dabei erfolgt die Inaktivierung der Viren ohne daß es des Zellstoffwechsels bedarf.
Bislang übliche Verfahren zur Inaktivierung von Viren schließen die Bestrahlung mit energiereicher Strahlung, wie z.B. UV-Licht und Röntgenstrahlung, ein. Ziel dabei ist es
Nukleinsäuremoleküle im viralen Genom zu schädigen und dadurch den Informationsgehalt der viralen Erbinformation zu reduzieren. Durch vorheriges Anfärben des viralen Genoms mit Farbstoffen, welche die virale Hülle durchdringen können (z.B. Neutralrot oder Proflavine) kann eine Beeinflussung des viralen Genoms bereits bei sichtbaren Licht erfolgen. Auch die Behandlung von Virussuspensionen mit Formaldehyd, welche zur
Inaktivierung von Viren bei der Gewinnung von viralen Impfstoffen eingesetzt wird, führt in erster Linie über eine Zerstörung des viralen Genoms zur Reduktion der Infektiosität dieser Viren. Die genannten Behandlungsmethoden beeinflussen also im wesentlichen das genetische Material des Virus, sie nehmen keinen Einfluß auf die Zusammensetzung der viralen Hülle und auf die Fähigkeit des Virus in die Wirtszelle einzudringen.
Verfahren, welche die Anheftung des Virus an seine Wirtszelle - also den ersten Schritt des Infektionsvorgangs - verhindern, setzen eine Modifikation der viralen Hüllproteine voraus. Solche Verfahren sind beispielsweise die Abspaltung der äußeren Virushülle sogenannter "behüllter Viren" durch Zugabe von Äther oder von Detergentien wie
Nonidet P40, Triton X100 oder Natrium-Dodecyl-Sulfat (SDS). Viele Desinfektionsmittel, welche erfolgreich gegen Bakterien eingesetzt werden, wie z.B. Chlorverbindungen, haben auf die Vermehrung von Viren keinen Einfluß. Es gibt jedoch auch chemische Agenzien
die sowohl antibakteriell als auch antiviral wirken. So wirken beispielsweise Formalin und bei bestimmten Viren auch Alkohole (Äthanol, Isopropanol) in hohen Konzentrationen virusabtötend. Der Einsatz dieser Verbindungen ist jedoch nur zu Desinfektionszwecken möglich. Ihr Einsatz, beispielsweise zur Virusinaktivierung in Blut und Blutprodukten, ist nicht möglich, da diese zytotoxisch und denaturierend wirkenden Substanzen auch die Blutproteine zerstören und damit eine Weiterverwendung der Folgeprodukte und deren Anwendung im Patienten verbieten bzw. unmöglich machen. Desweiteren sind die genannten Substanzen nicht zur Inaktivierung von Viren auf der Oberfläche von Pflanzen geeignet, da sie zum Absterben der Pflanze führen würden.
Ein wesentliches Erfordernis bei der Inaktivierung von Viren, welche sich in der unmittelbaren Umgebung von lebenden Zellen befinden (z.B. auf den Blättern von Pflanzen) oder welche in Flüssigkeiten vorkommen, die mit lebenden Zellen in Kontakt kommen ist, daß das virusinaktivierende Agens keine zytotoxischen Eigenschaften besitzt.
Deshalb liegt der vorliegenden Erfindung die Aufgabe zu Grunde, Agenzien zur Inaktivierung von Viren in Flüssigkeiten (insbesondere in Blut, Blutplasma, Blutserum und Blutprodukten, Zellkulturflüssigkeiten, Nährmedien) und auf der Oberfläche von Pflanzen und Tieren zur Verfügung zu stellen, welche sich durch geringe zytotoxische und/oder denaturierende Wirkung auszeichnen. Im Gegensatz zur Verwendung energiereicher
Strahlung ist das Ziel der antiviralen Wirkung jedoch nicht die virale Nukleinsäure, sondern ist die Beeinflussung viraler Oberflächenproteine, um bereits den Eintritt des Virus in die Wirtszelle zu verhindern.
Diese Aufgabe wird durch die Gegenstände der Patentansprüche gelöst.
Insbesondere wird diese Aufgabe dadurch gelöst, daß Thiolverbindungen zur Inaktivierung von Viren verwendet werden. Die Erfindung unterscheidet sich von der Therapie von
Viruserkrankungen dadurch, daß für die Virusinaktivierung überraschenderweise die Hilfe des Stoffwechselapparates der Wirtszelle nicht notwendig ist. Die vorliegende Erfindung
dient nicht der Therapie von Viruserkrankungen, also dem Verhindern der Virusvermehrung im lebenden Organismus, sondern der Inaktivierung bereits vorhandener Viren außerhalb des lebenden Organismus. Sie kann also auch in zellfreien Umgebungen (z.B. in Flüssigkeiten oder auf der Oberfläche von Pflanzen oder Tieren) durchgeführt werden. Die erfolgreiche Verwendung von Thiolverbindungen basiert dabei auf der Zerstörung von Disulfidbrücken in viralen Proteinen.
Unter dem Begriff "Thiolverbindung" werden chemische Verbindungen verstanden, die durch das Vorhandensein einer reduzierten Thiolgruppe (SH-Gruppe) gekennzeichnet sind. Bevorzugte Beispiele derartiger Thiolverbindungen sind Cy stein, Cy Steinderivate, Mercap- toalkanole, wie Methanthiol, Ethanthiol oder Mercaptoethanol, Dithiocarbamat, Thiophe- nol und 2-Mercaptoethansulfonsäure. Erfindungsgemäße Beispiele für Cy Steinderivate sind N-Acetylcystein, N-Acetylcy Steinderivate, wie N-Acetylhomocystein, N-Acetylcystein- ethylester oder N,S-Diacetylcystein-ethylester. Besonders bevorzugt ist N-Acetylcystein (NAC) sowie dessen Derivate.
Die erfindungsgemäß verwendeten Thiolverbindungen sind ferner durch ihre Nicht- Toxizität im üblicherweise verwendeten Konzentrationsbereich gekennzeichnet. Dies erhöht deren Sicherheit bei der Verwendung zur Inaktivierung von Viren in Blut, Nähr- medien, Zellkulturflüssigkeiten und Blutprodukten, sowie deren Einsatz in natürlichen
Umgebungen wie beispielsweise beim Besprühen von Pflanzen bzw. Baden von Tieren mit gelösten Thiolverbindungen.
Der Begriff "Disulfidbrücken in viralen Proteinen" bezeichnet Disulfidbrücken, welche die räumliche Struktur und Funktion von viralen Proteinen durch intra- oder intermolekulare kovalente Bindungen beeinflussen. Demgemäß enthalten die Virusproteine, zumindest aber ein Virusprotein wenigstens einen Cysteinrest. Vorzugsweise enthält das Virusprotein mehrere Cysteinreste, wie beispielsweise die Oberflächenproteine des Hepatitis-B- Virus (HBsAg) oder des Humanen-Immundefizienz- Virus (gpl20). Es ist bekannt, daß Disulfid- brücken durch die Konformation des Proteins stabilisiert werden. Daher hängt die einzusetzende Menge an Thiolverbindung, die zur Spaltung der bereits bestehenden intra-
oder intermolekularen Disulfidbrücke(n) notwendig ist, von der Zugänglichkeit der jeweiligen Disulfidbrücke(n) ab. Dabei haben sich zur Inaktivierung von Viren in Blut, Blutplasma, Blutserum, Blutkonserven, Blutprodukten, ZellkulturflUssigkeiten und Nährmedien Konzentrationen von bis zu 100 mM, insbesondere 1-100 mM, Thiolverbindung, insbesondere im Fall von N-Acetylcystein, bewährt. Die Zugabe kann dabei durch Einmischen des Feststoffs in die Flüssigkeit oder durch Einbringen einer wäßrigen Verdünnung bis zur gewünschten Konzentration stattfinden.
Zum Aufbringen auf Pflanzen, Saat-, Keim- und Pflanzgut mittels Besprühen, Eintauchen, Waschen oder Ankeimen genügen Konzentrationen von bis zu 100 mM Thiolverbindung, insbesondere im Fall von N-Acetylcystein. Gleiche Konzentrationen können auch für die äußerliche Behandlung von Haus- und Nutztieren angewendet werden. Dies geschieht durch Einreiben, Abreiben oder Baden der Tiere in einer wäßrigen Verdünnung der Thiolverbindung .
Bei den Pfanzen handelt es sich um Zier- und Nutzpflanzen, beispielsweise Getreide (Hafer. Roggen, Gerste, Mais, Weizen, Soja, Reis, Hirse, Couscous), Gemüse (Schotenfrüchte, Wurzelgemüse, Kohlarten, Lauch, Kartoffel), Obst (Äpfel, Birnen, Zitronen, Orangen), Bäume (z.B. Zitrusfruchtbäume), Blatt- und Blütenpflanzen sowie weitere mono- und dicotyle Pflanzen. Desweiteren sind unter Pflanzen Hydrokulturen und pflanzliche Gewebe- und Zellkulturen zu verstehen.
Bei den Viren sind beispielsweise DNA- Viren, wie Hepadnaviridae, Parvoviridae, Papovaviridae, Adenoviridae, Herpesviridae, Poxviridae, Iridoviridae, oder RNA- Viren, wie Picornaviridae, Caliciviridae, Togaviridae, Flaviviridae, Paramyxoviridae, Orthomy- xoviridae, Bunyaviridae, Arenaviridae, Reoviridae, Birnaviridae und RNA-Retroviren, wie HIV, zu nennen.
Pflanzen-pathogene Viren sind beispielsweise Tabakmosaikvirus, Blumenkohlmosaikvirus,
Brommosaikvirus, Reisnekrosevirus oder Geminivirus.
Die vorliegende Erfindung wird nun weiter anhand der Abbildungen beschrieben, welche zeigen:
Abb. 1: Synzytienbildung von HIV- infizierten H9-Zellen nach Präinkubation der
Virionen mit NAC
Abb. 2: EIA-Test von unbehandeltem HBsAg, mit 50mM NAC -behandeltem HBsAg, unbehandeltem HBeAg und mit 50mM NAC-behandeltem HBeAg
Abb. 3: Reduktion der Infektiosität von Vaccinia- Viren nach NAC-Behandlung
Abb. 4: Entfernung von überschüssigem NAC durch Dialyse
Die Erfindung wird nun weiter anhand der nachfolgenden Beispiele beschrieben.
Beispiel 1: Verringerung der Infektiosität des Humanen-Immundefizienz- Virus (HIV) durch N-Acetyl-Cystein (NAC)
Um zu untersuchen, ob NAC die Infektion von Zellen durch HIV beeinflußt, wurden HIV permissive Zellen (H9 Zellen) zusammen mit HIV-positivem Zellkulturüberstand inkubiert und die nach erfolgreicher Infektion der Wirtszelle erfolgende Synzytienbildung beobach- tet. Bei der Zellinie H9 handelt es sich um eine CD4 T-Zellinie humanen Ursprungs
(Popovic et al. , Science 1984, 224, 497-500). Die HI- Virionen (Virustiter der Stammlösung 107 Viren/ml) wurden zunächst für zwei Stunden bei Raumtemperatur zusammen mit NAC präinkubiert (NAC Endkonz. 0,09M, gelöst in serumfreiem Zellkulturmedium)
und dann in einer dekadischen Verdünnungsreihe (10"1 bis 10"5) mit Zellkulturmedium gemischt. Analog wurde mit der Kontrolle ohne NAC-Zugabe verfahren. Anschließend wurden die so vorbehandelten Virionen (bzw. die unbehandelte Kontrolle) für zwei Stunden zur H9 Zellkultur gegeben, um die Adsorption der Viren zu ermöglichen. Danach wurde die Suspension mit NAC-freiem Medium gewaschen und in 48-well Zellkulturplatten ausgelegt. Für jede Verdünnungsreihe wurden vier parallele Ansätze durchgeführt. Über einem Beobachtungszeitraum von 26 Tagen wurde die Riesenzellbildung mikroskopisch verfolgt und auf einer Werteskala von 0 (keine Synzytien erkennbar) bis 3 (hohe Synzytienzahl) beurteilt. Das Ergebnis der Synzytienbildung ist in Abb. l graphisch dargestellt. Dabei erkennt man in der unbehandelten Kontrolle (Abb.1), daß sich mit der
Abnahme des Virustiters auch die Synzytienbildung verzögert. Der Grad der Synzytienbildung ist also direkt proportional zur Zahl der infektiösen Viren. Während bei einem Virustiter von 105 die Synzytienbildung bereits innerhalb von vier Tagen beginnt, tritt sie nach 10.000-f acher Verdünnung der Virusstammlösung um etwa 2 Wochen verzögert auf. Im Gegensatz dazu kommt es nach Vorbehandlung der Viren mit NAC zu einer drastischen Verringerung der infektiösen Viren in der Virusstammlösung. Wurden die NAC behandelten Virionen um mehr als das 100-fache verdünnt (Virustiter < 104), so konnte innerhalb des Beobachtungszeitraums von vier Wochen überhaupt keine Synzytienbildung mehr beobachtet werden, während sich unter vergleichbaren Bedingungen in der unbehan- delten Kontrolle bereits nach einer Woche die ersten Riesenzellen bildeten.
Eine initiale Behandlung der Viren mit NAC führte also zu einer drastischen Reduktion des Gehalts infektiöser Viren in einer virushaltigen Flüssigkeit. Das hier geschilderte Experiment unterscheidet sich klar von der Behandlung HIV infizierter Zellen mit NAC. Bei der Behandlung von Zellen mit NAC, greift NAC als Sauerstoffradikalfänger in den zellulären Metabolismus ein und verringert so die Anzahl der viralen RNA Replikations- intermediate, welche ins Nukleocapsid verpackt werden (Roederer et al. , PNAS 1990, 87, 4884-4888). Im oben geschilderten experimentellen Ansatz wurden jedoch die Viren in Abwesenheit von Zellen mit NAC präinkubiert und erst dann, also nach Ausverdünnung des NAC, zur Zellsuspension gegeben. Die Verringerung der Infektiosität muß also auf einer Zerstörung der Virionen in der zellfreien Virusstammlösung beruht haben und kann nicht die Beeinflussung des zellulären Stoffwechsels als Ursache haben. Aus den darge-
stellten Daten folgt deshalb, daß sich durch ein analoges Vorgehen auch die Infektiosität von HIV positivem Blut oder von HIV positiven Blutprodukten verringern läßt, was die Sicherheit von Blutkonserven erhöht.
Die in Abb.l dargestellte Verzögerung der Riesenzellbildung ist - wegen der Korrelation zwischen Virustiter und der Anzahl der Synzytien - auf eine Reduktion der Anzahl der infektiösen Virionen zurückzuführen. Sie ist in keinem Fall Folge einer Beeinflussung des Stoffwechselgeschehens der Wirtszelle. Die verminderte Fähigkeit zur Riesenzellbildung (Abb. l) läßt sich unter Beachtung der von Spearmann-Kärber aufgestellten Gesetzmäßig- keiten als Titerexponent n quantitativ erfassen:
Klassengrenze -5 -4 -3 -2 -1
Testpositive p/4 0/4 2/4 1 /4 1 /4 4/4
Klassenmitte m -4,5 -3,5 -2,5 -1 ,5
Zunahme Δp 2 -1 0 3
Produkt m*Ap -9 3,5 0 -4,5
∑ m-Ap Bei einer Gesamtzahl von 4 Ansätzen pro Verdünnungsreihe gilt 4 . Für den
Titerexponenten nach NAC-Behandlung ergibt sich somit nNAC =-2,5 pa die Verdün- nungsstufe der unbehandelten Kontrolle, bei der keine Synzytienbildung mehr zu beobachten gewesen wäre, in diesem Experiment nicht genau ermittelt wurde, wurde als Berechnungsgrundlage der für diesen Ansatz maximale Wert, also 10"6, angenommen. Der Titer der unbehandelten Kontrolle beträgt demnach ιo"5'5 oder weniger. Der Titer nach NAC-Behandlung 10"2'5. Durch die NAC-Behandlung ergab sich also - gemessen an der Fähigkeit der Synzytienbildung - eine Reduzierung des Virustiters um wenigstens drei
Zehnerpotenzen .
Diese Verringerung des Infektiositätstiters konnte auch mit Hilfe des p24-Ag Tests bestätigt werden. Dazu wurde vier Tage vor Versuchsende das Zellkulturmedium erneuert und nach Beendigung des Experiments (Tag 26) der p24-Ag Gehalt des Zellkulturmediums quantifiziert (Tab. l). Die p24-Ag Werte der unbehandelten Kontrolle waren immer
deutlich positiv. Demgegenüber verursachte die vor der Infektion durchgeführte NAC- Behandlung ab einem HIV- Verdünnungsfaktor von 1/100 eine deutliche Reduktion des p24-Ag Gehalts im Zellkulturmedium, was einer Verringerung der Anzahl der infektiösen Virionen und damit ebenfalls einer Herabsetzung des Virustiters gleichkommt (Tab. l).
Tab.l Der p24-Ag Gehalt im Zellkuiturmedium HlV-mfizierter H9 Zellen ist verringert, wenn die Vinonen vor der Infektion mit NAC behandelt werden
Verdünnung NAC behandelt unbehandelt 10_1 > 2,0 > 2,0 > 2,0 > 2,0 > 2,0 > 2,0 > 2,0 > 2,0
10-2 0,045 0,038 > 2,0 0,079 > 2,0 > 2,0 > 2,0 > 2,0
10"3 0,044 0,047 0,039 0,274 > 2,0 > 2,0 > 2,0 > 2,0
10"4 0,047 0,044 0,134 0,652 > 2,0 > 2,0 1 ,512 2,0
10"5 0,069 0,04 0,044 0,04 0,238 > 2,0 > 2,0 > 2,0
Die p24-Ag Detekuon erfolgte 26 Tage nach der Infektion im Zellkuiturmedium HIV infizierter H9 Zellen In der Tabelle ist die Extinktion bei 492nm angegeben. (Ausschlußgrenze o D 492nm <0,093. die Extinktion der nicht infizierten Kontrolle betrug 0,040; Titer der Virusstammlosung: 10°)
Der Unterschied des hier gezeigten Experiments zu den bereits vielfach publizierten Versuchsansätzen besteht darin, daß die Virionen vor Infektion der H9 Zellen, also in
Abwesenheit der Zellen, mit NAC behandelt worden waren, und erst dann den Zellen zugesetzt wurden. Nach dem bisherigen Stand der Technik ist es übliche Praxis, HIV infizierte Zellen permanent mit NAC zu behandeln. Dementsprechend ist die Ursache des Anti-HIV Effekts von NAC in der Wirkung von NAC als Radikalfänger zu suchen, woraus der bekannte Vorschlag resultiert, NAC zur Therapie bei HIV Infektionen einzusetzen.
Die hier vorgestellte Reduzierung des Virustiters um wenigstens drei Zehnerpotenzen und die Verringerung des p24-Ag Gehalts auch noch 26 Tage nach initialer Infektion der Zellen, ohne daß die Zellen selbst NAC ausgesetzt waren, schließen eine Radikalfängerwirkung des NAC als Ursache des antiviralen Effekts von NAC aus. Statt dessen läßt sich der antivirale Effekt durch eine Störung der Virusadsorption, durch die Spaltung von Disulfidbrücken zwischen konservierten Cysteinresten im Hüllprotein gpl20 des HIV, erklären. Ein derartiger Mechanismus ist unabhängig von der infizierten Zelle und stellt
deshalb keine Therapie einer Virusinfektion dar. Es handelt sich vielmehr um die chemische Inaktivierung eines Virus.
Beispiel 2: Behandlung des Hepatitis-B- irus (HBV) Oberflächenproteins HBsAg mit N-Acetyl-Cystein (NAC)
Der Zellkulturüberstand einer HBV produzierenden Zellinie (HepG2-2.2.15 Zellen, Seils et al. , PNAS 1984, 84, 1005-1009) wurde von den Zellen getrennt und anschließend die viralen Antigene (HBsAg, Hepatitis-B- Virus "surface" Antigen) der Virushülle mittels
Enzym-Immuno-Assays (EIA) nachgewiesen. In einem parallelen Versuchsansatz wurde der Zellkulturüberstand unmittelbar vor der Durchführung des EIA mit NAC behandelt.
Während das HBeAg (Hepatitis-B- Virus "e" Antigen; sezernierbares virales Antigen, welches nicht Bestandteil der Virushülle ist) auch in Anwesenheit von 50mM NAC vom verwendeten Testsystem (Abbott HBe EIA) uneingeschränkt erkannt wurde, war eine
® Detektion des HBsAg durch das Testsystem (Abbott Auszyme ) nicht möglich (Abb.2).
Da die hauptantigene Domäne des HBsAg bekanntermaßen durch zahlreiche Disulfidbrücken stabilisiert wird, kann aus diesem Experiment gefolgert werden, daß NAC eine Veränderung der Raumstruktur auf der Virusoberfläche bewirkt, welche ihre Ursache in einer Spaltung von Disulfidbrücken hat. Gerade diese viralen Oberflächenstrukturen sind essentiell für die Anheftung des Virus an seine Wirtszelle und damit für dessen Infektiosität.
Beispiel 3: Verringerung der Infektiosität von Vaccinia Viren durch NAC
Um herauszufinden, ob NAC einen Einfluß auf die Infektiosität von Vaccinia- Viren hat, wurde eine Vaccinia- Virus Stammlösung mit steigenden Mengen an NAC (3, 10, 30mM) präinkubiert und anschließend eine Infektion permissiver Zellen (CV1 Zellen, Affennie-
renzellen) durchgeführt. Nach dem Entfernen der nicht adsorbierten Viren wurden die Zellen mit Softagarmedium überschichtet, um ein weiteres Ausbreiten der Viren durch Diffusion zu verhindern. Dabei konnte gezeigt werden, daß sich der Virustiter der Vaccinia- Virus-Suspension um bis zu 70% verringert (Abb.3). Diese Herabsetzung der Infektiosität lag deutlich über dem Schwankungsbereich des Plaque-assays (Akkuranz), welcher an Hand der Anzahl der Plaques der unbehandelten Probe berechnet wurde und bei ±9% lag. NAC bewirkt damit, ähnlich wie für HBV und HIV bereits dargestellt wurde, auch eine Verringerung der Infektiosität von Vaccinia- Viren.
Es konnte also für drei verschiedene Viren (HIV, HBV und Vaccinia) welche drei gänzlich verschiedenen Virusklassen angehören (Retroviren (RNA Genom), Hepadnaviren (DNA Genom) und Pockenviren (DNA Genom)) gezeigt werden, daß Thiolverbindungen (insbesondere NAC) eine Verringerung der Infektiosität dieser Viren bewirken.
Beispiel 4: Verfahren zur Entfernung von NAC aus Flüssigkeiten nach Virusinaktivierung
Die Zugabe von NAC zu virushaltigen Flüssigkeiten bewirkt also eine Abnahme der Infektiosität der Flüssigkeit (gezeigt für HIV, HBV und Vaccinia Viren). Die Verwendung von Thiolderivaten (wie z.B. NAC) führt damit zur Inaktivierung von Viren insbesondere in Blut, Blutkonserven, Blutplasma, Blutserum und Blutpräparaten. Dabei kann es von Vorteil sein, die zur Virusinaktivierung verwendeten Thiolderivate nach Inaktivierung der Viren wieder zu entfernen. Um zu untersuchen, welchen Einfluß das Entfernen von NAC aus virushaltigen Suspensionen auf die Infektiosität der Viren hat, wurde zunächst in zwei parallelen Ansätzen HBV positiver Zellkulturüberstand für 15 Min. mit unterschiedlichen Mengen an NAC inkubiert. Ein Ansatz wurde, um das nicht gebundene NAC wieder zu entfernen, über Nacht bei 4°C gegen TNE-Puffer (lOmM Tris-HCl pH 7,5; lOOmM NaCl; ImM EDTA) dialysiert, während der andere Ansatz unbehandelt blieb.
Unabhängig davon, ob die Probe über Nacht dialysiert wurde oder nicht, ergab sich in jedem Fall der gleiche Kurvenverlauf (Abb.4). Dies zeigt, daß überschüssige Mengen an NAC durch Dialyse wieder entfernt werden können, ohne daß die Antigenizität und damit Infektiosität der Virussuspension wieder zunimmt. Es kann deshalb festgehalten werden, daß der Effekt, den NAC auf die Viren ausübt irreversibel ist, und daß die Dialyse ein geeignetes Verfahren zur Entfernung von überschüssigem NAC ist. Das Ergebnis von Abb.4 zeigt weiterhin, daß NAC mit dem HBsAg eine chemische Verbindung eingeht. Andernfalls müßte der Effekt durch Dialyse revertierbar sein. Bei der Inaktivierung von Viren durch NAC handelt es sich also um eine chemische Reaktion. Diese erfolgt zwi- sehen der freien SH-Gruppe der Thiolverbindung und einer Disulfidbrücke im viralen
Protein. Die Anwesenheit eines zellulären Stoffwechselapparates ist dazu nicht erforderlich.
Beispiel 5: Virusinaktivierung durch N-Acetyl-Cystein auf Pflanzen
Neben der breiten Anwendbarkeit von Thiolderivaten zur Virusinaktivierung in Flüssigkeiten ist auch eine Inaktivierung von Viren in ihrer natürlichen Umgebung möglich.
Da NAC bekanntermaßen keine zytotoxische Effekte zeigt, läßt es sich auch als ein äußerst umweltverträgliches und zugleich biologisch abbaubares Mittel zur Bekämpfung pflanzenpathogener Viren einsetzen. Man schätzt, daß jährlich Verluste in Höhe von etwa 60 Milliarden US$ durch Pflanzenviren verursacht werden. Pflanzenviren werden sehr häufig mechanisch übertragen. Eine Weiterverbreitung der Viren kann unter anderem durch direkten Kontakt der infizierten Pflanze mit einer Nachbarpflanze, durch Über- tragung der Viren mit Hilfe von Insekten, Pilzsporen, usw. oder über bereits infiziertes
Saatgut erfolgen. Unabhängig von der Übertragungsart wirkt ein Besprühen oder Eintauchen der Wirtspflanze (bzw. des Saatgutes) mit Thiolverbindungen (z.B. NAC) prophylaktisch, da die Viren so bereits auf der Pflanzenoberfläche inaktiviert werden und nicht mehr ins Innere der Wirtszelle vordringen können. Thiolverbindungen können so auch einen wertvollen Beitrag zur Virusinaktivierung in der Landwirtschaft leisten.