»Wir kontrollieren nicht die Betten«
Jaschke, 62, ist Bischofsvikar für Hamburg und Schleswig-Holstein. Der gebürtige Oberschlesier wuchs im niedersächsischen Bückeburg auf. 1967 empfing er die Priesterweihe, 1974 promovierte er in Regensburg, sein Doktorvater war der heutige Kardinal Joseph Ratzinger. Seit 1989 ist Jaschke Bischof.
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SPIEGEL: Herr Bischof, in Deutschland leben Tausende Kinder, die es eigentlich nicht geben dürfte, weil ihre Väter katholische Priester sind, die sich zu totaler sexueller Enthaltsamkeit verpflichtet haben. Warum verschweigen die Kirchenoberen so beharrlich diesen illegitimen Nachwuchs, ist er ihnen peinlich?
Jaschke: Bei Zahlen bin ich sehr skeptisch. Aber Sie stoßen mit dem Thema in eine offene Wunde. Ich persönlich halte die Tabuisierung für falsch.
SPIEGEL: Kennen Sie selbst Betroffene?
Jaschke: Ja. Ich kenne drei Priester, die Väter sind.
SPIEGEL: Was raten Sie so einem Mann?
Jaschke: Der Priester muss zu seiner Verantwortung stehen. Er kann entweder sagen: »Das war ein Fehltritt, dessen Konsequenzen ich trage, aber ich möchte im Amt bleiben und die Frau nicht heiraten, werde jedoch im Rahmen meiner Möglichkei-
ten für das Kind einstehen.« Oder aber er trennt sich von seinem Amt und gründet eine Familie.
SPIEGEL: Kann er weiter Priester bleiben und mit seinem Kind Kontakt halten?
Jaschke: Das kommt auf den Einzelfall an. Die Entscheidung muss wahrhaftig sein. Er darf keinen Anstoß geben.
SPIEGEL: Also ein Priesterkind kann nach der Predigt nicht auf Papas Arm.
Jaschke: Das geht natürlich nicht. Der Priester und die Mutter des Kindes müssen sich schon auf eine innere und räumliche Trennung einigen. Sonst ist das ja auch menschlich für alle Beteiligten unerträglich. Da muss man einen sauberen Schnitt machen.
SPIEGEL: Das heißt, die Kirche verlangt, das Kind muss vaterlos aufwachsen.
Jaschke: Die Eltern haben diese Situation verursacht, nicht die Kirche. Wenn ein verheirateter Mann außereheliche Kinder hat, ist ja auch nicht seine Familie schuld an der Tragödie. Die Kinder sind immer die Leid Tragenden.
SPIEGEL: Was wäre so schlimm, wenn ein Priester einen Kinderwagen schieben würde?
Jaschke: Er wird unglaubwürdig, wenn er auch noch öffentlich vorführt, dass er gegen seine priesterlichen Pflichten verstoßen hat.
SPIEGEL: Wieso darf die Kirche als Arbeitgeber eigentlich einen Priester und seine heimliche Frau, wenn diese selbst auch bei der Kirche arbeitet, entlassen?
Jaschke: Wir sind, was die Priester angeht, kein Arbeitgeber im klassischen Sinn, sondern eine Dienstgemeinschaft. Und für die gelten Regeln. Wer sich nicht an diese Regeln hält, der muss mit entsprechenden Konsequenzen rechnen.
SPIEGEL: Aber eine Frau, die in der kirchlichen Verwaltung arbeitet, hat doch niemandem Keuschheit gelobt?
Jaschke: Trotzdem weiß sie, dass sie sündigt, wenn sie mit einem Priester eine Liaison eingeht. Die Kirche mit ihren Regeln steht arbeitsrechtlich unter so genanntem Tendenzschutz.
SPIEGEL: Und wenn ein Priester wegen eines Nachkommens sein Amt aufgibt: Hilft ihm dann die Kirche, sich eine neue Existenz aufzubauen?
Jaschke: Wir haben inzwischen faire Regelungen für solche Priester. Ihnen wird geholfen, eine neue Ausbildung zu beginnen, Sozialabgaben werden nachgezahlt.
SPIEGEL: Offenbar nicht überall. Im vergangenen Jahr ist der Priester Anton Aschenbrenner in Passau wegen eines Kindes vom Amt suspendiert worden. Er ist konvertiert, um eine Stellung als evangelischer Religionslehrer anzunehmen. Die verlor er aber, weil der katholische Oberhirte dem evangelischen Bischof einen Wink gab, dass dieser keinen Konvertiten im Sprengel beschäftigen dürfe.
Jaschke: Wenn ein Priester sich von seinem Beruf trennt, setzt er damit ein Faktum. Und die Regel haben wir in der Kirche nun mal: Wenn ein amtsenthobener Kleriker nicht zuvor vom Papst in den Laienstand zurückversetzt wird, dann kann er im Rahmen der Kirche nicht tätig werden.
SPIEGEL: Der in Glaubensdingen konservative Johannes Paul II. genehmigt kaum solche Laisierungen.
Jaschke: Das ist für viele Priester eine Schwierigkeit, gerade wenn sie jünger sind. Sie können nach der Suspendierung vom Amt äußerlich mit der Kirche nicht mehr im Frieden leben. Sie dürfen nicht kirchlich heiraten. Zur Zeit von Papst Paul VI. hieß es übertreibend, man könne sich quasi per Postkarte laisieren lassen. Da haben dann viele sehr schnell den Beruf aufgegeben - zu schnell.
SPIEGEL: Für deren Frauen und Kinder war die Laisierung oft ein Segen, denn dann konnten die Ex-Priester wieder im Kirchendienst arbeiten - etwa bei der Caritas oder als Lehrer.
Jaschke: Man soll eine Entscheidung, auf die man sich lange vorbereitet hat, die man vor Gott und den Menschen getroffen hat, nicht einfach zack, zack wegschmeißen.
SPIEGEL: Aber wenn man mit einer Frau ins Bett gegangen ist, dann ist der Zölibat doch sowieso perdu.
Jaschke: Nein, dann haben der Priester und seine Geliebte eine Sünde begangen. Aber eine Sünde kann vergeben werden.
SPIEGEL: Wenn die Väter nicht im Frieden leben mit ihrer Kirche, können es die Kinder meistens auch nicht.
Jaschke: Die Kinder sind absolut unschuldig. Deren Probleme mit der Kirche haben damit zu tun, dass ihre Eltern ein gebrochenes Verhältnis zur Kirche haben und das auf ihre Kinder übertragen. Wenn der Vater sein Verhältnis zur Kirche in einer guten Weise löst, wird auch das Kind ungezwungen ...
SPIEGEL: ... aber wie? Ein Priester, der einen Laisierungsantrag beim Papst einreicht, muss sich doch fühlen wie einst ein DDR-Bürger, der einen Ausreiseantrag gestellt hatte: Wann und ob er erhört wird, steht in den Sternen.
Jaschke: Er kann innerlich trotzdem versuchen, Frieden mit der Kirche zu finden.
SPIEGEL: In Umfragen spricht sich seit Jahren immer wieder eine überwältigende Mehrheit aller Katholiken für eine Abschaffung des Zölibats aus. Irritiert die Bischöfe das nicht?
Jaschke: Die Bischöfe haben in den letzten Jahren mehrheitlich gesagt, dass sie am Zölibat festhalten wollen.
SPIEGEL: Schafft der Zölibat nicht mehr Probleme, als er löst?
Jaschke: Wie viele Menschen gehen fremd? Wie viele Kinder werden außerehelich gezeugt? Meine Güte. Der Zölibat ist nicht das Problem, er schafft bloß eine spezielle Situation.
SPIEGEL: Die meisten Theologen halten ihn nicht für gottgewollt.
Jaschke: Jesus hat über die Ehe gesagt: Es ist nicht recht, dass Mann und Frau auseinander gehen. Und dann setzt er einen drauf und sagt: Es gibt Menschen, die verzichten freiwillig auf die Ehe um des Himmelreiches willen. »Wer es fassen kann, der fasse es.« Also der Zölibat ist eine Zumutung, die uns Jesus nahe legt, kein willkürliches Gesetz.
SPIEGEL: Der Trierer Altbischof Hermann Josef Spital hat zum Zölibat öffentlich kritisch angemerkt: »In der Schrift steht, es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist, und darum hat Gott die Eva dem Adam zur Seite gestellt. Da stellt sich schon die Frage, ob die Kirche das Alleinsein des Menschen zum Ideal erheben kann.«
Jaschke: Der Zölibatäre darf in der Tat nicht vereinsamen. Auch ich brauche Freunde, Freundinnen. Eine Gefahr liegt heute darin, dass der Zölibat nicht in einer Gemeinschaft gelebt wird. Früher gab es im Pfarrhaus den Pfarrer, die Pfarrköchin, die Haushälterin, den Kaplan, den Vikar. Da war man eine Art Familie. Heute sind Priester oft ganz allein.
SPIEGEL: 1960 gab es in Deutschland 27 000 Priester, derzeit sind es nicht mal 17 000. Viele Katholiken geben dem Zölibat die Hauptschuld.
Jaschke: Mir widerstrebt es, das Problem dadurch zu lösen, dass man die Bedingungen einfacher macht. Es wäre unsportlich, die Latte tiefer zu hängen, damit mehr Leute drüberspringen.
SPIEGEL: Drücken wegen des wachsenden Priestermangels mancherorts die Bischöfe lieber beide Augen zu, damit sie ihre Priester nicht verlieren? Wir kennen Pfarrhäuser, in denen Priester mit Haushälterinnen und Kindern zusammenwohnen und dies von den Gemeinden toleriert wird.
Jaschke: Ich darf einen Priester nicht pauschal verdächtigen, wenn er eine allein erziehende Mutter in seinem Haus hat, und sagen: »Das ist hier eine Priesterfamilie.« Der Zölibat soll ja offen sein für Formen neuer Gemeinschaft. Wir Bischöfe kontrollieren nicht ...
SPIEGEL: ... die Betten der Priester ...
Jaschke: ... genau, den Gewissensbereich. Der Bischof darf den Priester nicht ausfragen: »Wie hältst du es mit deiner Sexualität?« Aber wenn ein Priester öffentlich mit einer Frau Händchen hält, muss der Bischof natürlich sagen: »Was bitte ist da los?« Wenn er antwortet: »Das ist alles in Ordnung«, und glaubwürdig ist, sehe ich keinen Handlungsbedarf.
Die Frauen sind übrigens oft auch nicht ganz unschuldig am Zölibatsbruch. Ich habe lange junge Priester ausgebildet, und da gab''s immer Mädchen, die diese Jungtheologen umschwärmten. Der Priester als Mann Gottes hat eine gewisse Attraktivität.
SPIEGEL: Wieso eigentlich kann die Kirche den Priestern den Zölibat nicht freistellen und verheiratete wie unverheiratete Kleriker in ihrer »Dienstgemeinschaft« beschäftigen?
Jaschke: Aber der Zölibat ist doch freiwillig!
SPIEGEL: Wenn ein Katholik Priester werden will, muss er den Zölibat in Kauf nehmen, ob er sich dazu berufen fühlt oder nicht, sonst kann er den Beruf nicht ausüben. Was ist da freiwillig?
Jaschke: Ein junger Mann muss sich mit innerer Freiheit für diese Lebensform entscheiden. Wir lassen einen Theologen, der Ehelosigkeit ablehnt, nicht zur Weihe zu. Der Zölibat ist kein Zwang, sondern eine Regel. Und eine Regel hat auch viele Vorteile. Sie bestimmt eine Gruppe. Wenn sich die ganze Gruppe an diese Regel hält, dann wird man als Einzelner getragen. Die Ablehnung dieser Lebensform ist natürlich, aber genau das reizt mich: Das Christentum ist keine bürgerliche Religion. Es muss den Stachel der Herausforderung auf eine neue Welt hin haben.
SPIEGEL: Viele junge Männer, die sich zu Priestern weihen lassen, überblicken nicht, auf was für ein Leben sie sich einlassen. Bei der Weihe sind sie oft erst Mitte 20.
Jaschke: Ganz naiv schlittert da keiner rein. Ich habe als junger Mann mit meinem Beichtvater in einer ganz harten Situation sehr offen über Sex gesprochen. Völlig aufgelöst zog ich an einer langen Zigarre, und dieser Mann, ein Jesuit, hat in seiner Güte gesagt: »Jetzt rauchen Sie erst mal.«
SPIEGEL: Wenn eine Frau schwanger wird, hilft leider keine Zigarre. Viele Priestergeliebte empfinden es als Chauvinismus, wenn der Mann im Amt bleiben darf und sie von ihm bloß mit Alimenten für das Kind abgespeist werden.
Jaschke: Der Priester fällt auch nicht so bequem in den Schoß der Kirche. Der Bischof zahlt ja nicht die Alimente für ihn, die gehen von seinem eigenen Gehalt ab.
SPIEGEL: Die Mönche sind bettelarm und beziehen keine Gehälter. Wir kennen Orden, die sich geweigert haben, den Kindesunterhalt zu übernehmen.
Jaschke: Das wäre falsch. Ein Orden ist in der Pflicht, für so einen Bruder einzustehen.
SPIEGEL: Warum halten sich eigentlich die Gerüchte so hartnäckig, dass es schwarze Kassen für Priesterkinder gibt?
Jaschke: Schwarze Kassen sind immer interessant, Gerüchte auch. Angeblich gibt''s ja sogar Heime für Priesterkinder, so im Lebensborn-Stil. Das ist alles Quatsch.
SPIEGEL: Sind evangelische Pfarrer schlechter, weil sie nicht zölibatär leben?
Jaschke: Nein, aber haben die evangelischen Pfarrer deshalb weniger Probleme mit ihrer Sexualität? Die Scheidungsquote von Pastoren und Pastorinnen ist nicht geringer als von anderen Berufsgruppen.
SPIEGEL: Dafür hat die katholische Kirche offenbar ein größeres Problem mit pädophilen Pfarrern als die evangelische.
Jaschke: Pädophilie ist eine sexuelle Fehlentwicklung, die im Typus eines Menschen angelegt ist. Wenn eine solche Persönlichkeit den Zölibat als Lebensform wählt, schadet das ihr und uns. Wir müssen alles tun, um so etwas zu vermeiden. Aber die Ehe als Allheilmittel gegen sexuelle Verirrungen hilft nicht.
SPIEGEL: Herr Bischof, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Der Priesterzölibat gehört seit langem zu den auch unter Gläubigen umstrittensten Lebensregeln der katholischen Kirche. Etwa jeder zweite Kirchenmann, so aktuelle Schätzungen, verstößt irgendwann einmal gegen das Gebot sexueller Abstinenz. Der Zölibat wurde erst 1139 Kirchengesetz. Tausende meist ungewollte Kinder in Deutschland sind Experten zufolge die Frucht verbotener Beziehungen von Klerikern - die Existenz dieser Kinder ist für die Kirchenoberen aber nach wie vor ein Tabu. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke hält die Geheimniskrämerei für falsch: »Es gibt nichts zu verbergen.«
Das Gespräch führten die Redakteure Annette Bruhns und PeterWensierski.